Kai-Uwe Götz
Fotografie  und Lyrik 


08.03.2023

Loslassen

Kreativ zu sein, ist dem Menschen zu eigen wie essen, sprechen, laufen und denken. Schon immer haben wir ihr in unserem Leben eine große Bedeutung zugemessen. Unsere Vorfahren fanden es essentiell wichtig, mit großem Zeitaufwand und Mühe ihre Geschichten in Höhlenwände einzuritzen.

Heute sehen wir Kreativität eher als Luxus – der- oder diejenige kann sich glücklich schätzen, wenn Mittel und Zeit vorhanden sind um sich kreativ auszudrücken.
Doch Kreativität ist auch eine Frage der Bildung und des Selbst-bewusstseins. Die Ausdrucksformen haben sich geändert, von Stein zu Leinwand und Pixeln und es gehört einfach zum Menschsein dazu seine Kreativität zum Ausdruck zu bringen. Sei es durch formen, modellieren, malen, schreiben oder fotografieren.

Begonnen habe ich mit dem Schreiben von Lyrik nicht weil ich es mochte. Es war für mich die Möglichkeit meine Erlebnisse als Altenpfleger zu verarbeiten. Ich arbeitete zu der Zeit bei einem mobilen Pflegedienst in Hamburg und die meisten meine zu pflegenden Menschen lebten und arbeiteten in St. Pauli im Mileu. Die HIV-Welle war auf ihrem Höhepunkt, es gab noch keine adäquaten Medikamente oder erfolgreiche Behandlungen. Das führte dazu das sehr viele, sehr junge Menschen qualvoll starben – und meine Aufgabe war es sie zu pflegen und sie in ihren Tod zu begleiten.

Ich wollte mit dem Schreiben einfach nur die vielen Tode in mir herausschreiben. Und ich konnte es. (wie es dann zu meinem ersten Buch „Poesie des Todes und andere Lebendigkeiten“ kam ist eine andere Geschichte).

Doch ich musste auch lernen, dass ich meine Ausdrucksform nicht zu rechtfertigen brauchte – sie hat eine Berechtigung, weil ich eine Berechtigung, wie jeder andere Mensch auch, als menschliches Wesen habe.
Es folgte eine Phase in der ich die mannigfaltigen Erfolgsrezepte für beständiges Schaffen ausprobierte. Das betraf auch meine Fotografie die ich schon lange vor dem Schreiben betrieb. Ich versuchte strukturiert zu sein, tat alles, um in den Flow zu kommen, erforschte die tiefen, dunklen Ecken meines Selbst, hielt mich an Routinen, selbst wenn ich es nicht wollte und musste erkennen, das all dies nirgendwohin führte.
Ich versuchte Strukturen zu schaffen, wo Struktur nicht nötig ist. Dabei kam nur heraus den Prozess des Schaffens zum stagnieren zu bringen. Der Grund dafür ist, dass ich mich, so wie die meisten Kunstschaffenden, nicht auf das „Auf und Ab“ des schöpferischen Prozess einließ. Und dann beginnt der Druck.

Man muss etwas schaffen. Schließlich hat die Fotoausrüstung eine Stange Geld gekostet. Da muss einfach was dabei rauskommen. Und wie soll ich es vor meinem Ehegatten rechtfertigen, dass ich mir so ein teures Gerät zugelegt habe und nichts damit produziere. Und so wird der Druck immer größer und größer und wir verzweifelter und verzweifelter. Und das Grausame dabei ist, dass damit unsere Kreativität immer mehr in die Ferne rückt. Wir können die Kreativität in uns nicht zwingen hervorzukommen. Sie kommt zu uns nur, wenn wir sie loslassen können.

Es kommt darauf an, sich das Schreiben oder Fotografieren (oder malen, töpfern, oder was auch immer Du machen möchtest) als etwas vorzustellen, was so natürlich ablaufen kann wie das Atmen. Es ist ein Prozess ohne Mühe, ohne Druck. Er schöpft aus dem, was sich außerhalb von uns befindet, und verwandelt es, während es in uns abläuft – ohne das wir etwas merken. Wir merken aber sehr wohl um wie viel es schwieriger wird, wenn wir bewusst versuchen, ihn in Gang zu halten. Tatsächlich wird das Kreative in der Regel am meisten durch Endziele oder Deadlines gehemmt. Es ist absolut essentiell, dass wir ganz im Hier und Jetzt sind und bei unserem Schaffensprozess einfach alles herausfließen lassen, was sich in unserem Inneren abspielt. Kreativität tritt am meisten hervor, wenn wir ihr freien Lauf lassen, ohne zu bewerten und zu urteilen. Und vor allem: wir müssen uns nicht rechtfertigen, wenn wir eine Zeit lang nicht fotografieren, schreiben, malen oder sonst irgendetwas. Wir wissen ja, dass es in uns arbeitet – ganz ohne, oder viel mehr, gerade deswegen , unser zutun. Wir wissen einfach dass sie sich irgendwann meldet – wir müssen nur unserem Inneren zuhören, ganz bei uns selbst sein. Je stärker wir das, ohne zu urteilen, zum Ausdruck bringen und danach leben, desto freier werden wir uns fühlen, ehrlich zu sein und uns zu öffnen. Je wohler wir uns mit diesem inneren Selbst fühlen, desto besser wird es uns gelingen aus unserer Kreativität heraus, schöpferisch tätig zu sein. Einfach so.

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